Das Musizieren auf dem Birkenblatt gehörte bis in die 1960er Jahre zur Alltagskultur der Schäfer, nicht nur im Harzgebiet, sondern auch in Thüringen, im Fläming, im Eichstätter Jura, in den Alpenländern, in Ungarn und in der Tschechoslowakei. Durch ein Gedicht von Friedrich Rückert (1788-1866) und durch die Aussage von Schafmeister Ernst Lichtenfeld (*1903 in Polleben/Mansfelder Land), dass schon sein Großvater das Spiel auf dem Birkenblatt beherrscht habe, lässt sich diese Musizierpraxis bis an den Anfang des 19. Jahrhunderts zurückverfolgen. Gespielt wurde zur Kurzweil während des Weideganges, wenn die Herde ruhig weidete, oder im Rahmen der großen Schäferfeste, vor allem im Mansfelder Land, wo sich aus diesem Anlass spontan große Birkenblatt-Kapellen formierten, die mehrstimmig spielten. Zum Repertoire der Schäfer gehörten Schäfer- und Volkslieder, Tanzstückchen und Marschmusiken.
Es ist das Verdienst der Schafmeister Ernst Lichtenfeld (†) und Otto Maiberg(†), einst in Wegeleben bei Halberstadt ansässig, ursprünglich jedoch aus dem Mansfelder Land stammend, diese Musizierpraxis bewahrt und an die Heimatgruppen weiter gegeben zu haben. Sie traten ab 1938 zusammen mit der Trachtengruppe aus Harsleben bei Halberstadt in Heimatveranstaltungen auf (Abb. 1). Von ihnen erlernten verschiedene Gruppenmitglieder das Birkenblattblasen, welches sich dann in einer Reihe von Heimatgruppen im Harzgebiet etablierte.
Bei dem sog. Birkenblatt handelt es sich um ein etwa 1 mm dünnes glattes Stück Birkenrinde in einer Größe
von 2 x 4 cm (Abb. 2). Dieses wird an beiden Schmalseiten schwach eingeknickt. Der senkrecht nach unten gerichteten Teil des Birkenblattes,
das Handstück, wird dicht unterhalb der Einknickung fest gegen die Unterlippe gedrückt, während der obere Teil,
die Zunge, der Oberlippe leicht anliegt. Durch gezieltes Anblasen wird die Zunge in Schwingungen versetzt, wobei ein Oboen
artiger Ton entsteht. Die verschiedenen Tonhöhen ergeben sich durch Veränderungen der Stärke des Luftstromes, der
Lippenspannung und der Weite der Mundhöhle, welche als Resonanzraum dient. Der Tonumfang reicht von a1 bis f3, sodass
mehrstimmige Melodien geblasen werden können.
Heute gibt es das Birkenblattblasen in der Berufsgruppe der Schäfer in Sachsen-Anhalt nicht mehr, und auch in den Heimatgruppen,
ist diese Musizierpraxis rückläufig, weil es an Nachwuchs fehlt. Einführungskurse in das Birkenblattblasen,
welche der Harzklub und das Zentrum HarzKultur in Wernigerode jährlich anbieten, werden kaum nachgefragt.
Schätzungsweise gibt es nur noch etwa 15 Spieler(innen) im Harzgebiet (Abb. 3). Das Birkenblattblasen droht endgültig
auszusterben.
Diese Situation haben Harzklub, Landesheimatbund Sachsen-Anhalt und Heimatverein Hausneindorf zum Anlass genommen, einen Film über das Birkenblattblasen herzustellen. Er dokumentiert seine Geschichte, zeigt das Schnitzen eines Birkenblatts, vermittelt die Blastechnik und demonstriert die Tonerzeugung. Der Film ist angereichert durch acht Schäferlieder, die auf dem Birkenblatt im Duo oder Trio geblasen werden, auch mit zusätzlicher Akkordeonbegleitung bzw. verbunden mit Chorgesang. Die DVD enthält zusätzlich einen ausdruckbaren bebilderten Lehrplan zur Herstellung eines Birkenblatts und die Anleitung zum Blasen.
Es ist sehr wünschenswert, dass die Schäfervereine das einstige Spiel der Schäfer auf dem Birkenblatt in das Spektrum ihrer Traditionspflege aufnehmen, wo es eigentlich hingehört, damit es auch künftigen Generationen erhalten bleibt.
Die DVD "Das Birkenblattblasen in der Harzregion" ist zum Preis von 10 € bei uns erhältlich.